geschrieben für www.katzennetzwerk.de

 

 

Lola rennt nicht mehr

Montag Abend, der allererste Arbeitstag im neuen Jahr. Kein (oder doch) Glückstag für eine schwarz-weiße Katze, die sich am Straßenrand entlang zieht. Ein Glück, sie wird wenigstens aufgelesen und zum TA gebracht. Der Beginn einer Geschichte mit allen Facetten des Lebens.
Die Finder versprechen, sich in der Gegend des Fundortes herumzuhören, die Katze geht auf Station.


Das Röntgenbild ergibt eine Verschiebung (Luxation) zwischen Brust- und Lendenwirbelsäule, eine Beckenfraktur und einen Schwanzabriß (Kreuzbein – Schwanzwirbel). Die Katze ist nicht lauffähig, zieht das Hinterteil nach. Fest steht jetzt schon, sie wird nie wieder selber Urin absetzen. Die Nerven für die Blase kommen von der Schwanzwirbelsäule. Auf Station räkelt sich ein stattlicher Kater, sehr lieb, sehr duldsam, mit gutem Appetit. Eine Entscheidung ist nötig. Aber das soll der Besitzer tun, der noch nicht gefunden ist. Es gibt keinen Mikrochip und keinen Hinweis, keine Suchmeldungen. Guter Rat ist teuer. Wie lange soll man warten? Die Entscheidung: Galgenfrist bis Samstags. Vorsichtshalber wird das örtliche Tierheim angerufen und Bescheid gesagt, was für ein Findling sich wo befindet. Das Telefonat ist komisch, kurz angebunden, schnell beendet. Man hatte das Gefühl „schnell auflegen bevor ich die Katze übernehmen muss“, aber die Erfahrungen sind eh nicht so toll, Miezekatzle wird einfach für nicht transportfähig erklärt und weit weg vom TH gehalten. Auf Station ist erst mal Platz genug, und die paar Tage....

Der Katermann schmust und schnurrt wie verrückt. Ein Name muß her, so geht das ja gar nicht. Der Fundort war die Anton-Günther-Str., also Anton oder Günther. Er räkelt sich wie Graf Koks auf Station, läßt sich bemutteln und verwöhnen, sein Personal scheint ihm zu gefallen. Seinen Namen hat er schnell weg: Anton Graf Günther. Die Vorstellung, ihn nur gut über die Runden zu bekommen, bis sein Besitzer gefunden ist, haben wir schnell begraben. Man kommt nicht an ihm vorbei, ohne ihn zu knuddeln oder beim schlafen zuzusehen. Um ihm nicht weh zu tun, leeren wir die Blase erst mal per Katheter. Sein linkes Hinterbein scheint mehr zu „können“ als das rechte, es besteht die Hoffnung, daß vielleicht etwas wiederkommt. So gräflich wie AGG herumliegt, so kooperativ ist er auch bei allem, was wir machen.
DER Samstag rückt heran. Keine Erfolge bei der Suche nach dem Besitzer lassen uns ratlos sein. Anton Graf Günther muss ein Zuhause gehabt haben, er ist zutraulich, reagiert auf typische Geräusche wie Dosen öffnen oder mit Schüsseln klappern. Soll sein Dosi ihn nie wiedersehen? Und außerdem – schluck – er hat sich schon in unsere Herzen geschlichen, wir bringen "es" sowieso schon gar nicht mehr fertig. Neue Galgenfrist: ultimo.

Woche 2: Keiner von uns, die sich um AGG kümmern, kann ihn behalten, auch wenn jeder würde. Mit jedem Tag länger schwindet die Hoffnung auf den Ex-Besitzer. Es muß doch jemanden in Deutschland geben, der AGG auch so lieben und aufnehmen kann. Die ersten Inserate werden geschaltet. Auf der Suche nach Organisationen, die helfen könnten, stolpern wir über eine in der Nähe und zufällig über katzen-in-not.info. Letztere ist weiter weg, aber egal, vielleicht ergibt sich was. Beide werden angemailt mit der Bitte, AGG auf ihre Webseiten unter Notfälle zu setzen. Er soll ja nur gefunden werden. Wir kümmern uns gern um ihn. Katzen-in-Not antwortet, versucht zu helfen, erwägt AGG zu übernehmen. Bei den anderen möchte ich sorry sagen für anfragen.
Anton Graf Günther ist einfach zu lang als Rufname, und wenn abkürzen dann richtig. Auf A.G. (ey tschi) reagiert er auch sehr schnell. Aber es geht ihm nicht mehr so gut. Der Grund ist ziemlich offensichtlich, A.G. kann keinen Kot absetzen und hat Bauchschmerzen. Eine Massage findet er schon nicht mehr toll. Es bleibt nix übrig, A.G. wird schlafen gelegt und ausmassiert. Das geht auch nicht besonders leicht, gelingt jedoch. Danach geht es ihm aber besser, das Essen schmeckt wieder. Warten auf den Besitzer...
Schlagsahne, Kondensmilch – nix bringt Durchfall und den ersehnten Kotabsatz. Wie soll es nur weitergehen? Katzenhimmel? Aber nur weil er nicht groß kann??? Ist nicht einzusehen, aufgeben noch keine Option. Also noch mal schlafen, leer machen und diesmal auch kastrieren. A.G. mag die anderen Stationsbewohner nicht, so kann er nicht weiter „gebunkert“ werden. Ob die Kastration daran was ändert, ist erst mal dahingestellt. A.G. ist vermutlich vom Mai 2011 und alt und groß genug, um diesen kleinen Eingriff hinter sich zu bringen. Leer massieren geht wieder sehr schwer. Aber der Beckenbruch ist leider auch weit nach innen verschoben und könnte daran Schuld sein. Nur … kümmern um OP oder nicht oder doch und was wenn es dann nicht anders ist??? Und vor allem: woher finanzieren? Inzwischen haben wir sogar eine Interessentin, die A.G. gesehen hat und sofort verliebt war. Sie deutet an, sich an den OP-Kosten zu beteiligen. Und Katzen-in-Not möchte die Röntgenbilder ihrer Klinik zeigen. Ist mir Recht, denn ich könnte so eine Einschätzung bekommen, ob die Reposition der Bruchenden im Becken helfen könnte, den Kotabsatz in Gang zu bekommen. Weil, wenn es heißen würde, daß das nicht helfen wird... beim Gedanken daran fließen erste Tränen.
Die Klinik gibt ein Statement zu den Bildern, aber das wußten wir schon alles. Dem Erfinder des Telefons ist mein störender Anruf dort anzulasten, ich hoffe, es war nur ein schlechter Tag, aber ich wurde belehrt, daß Laktulose eben nicht gleich Milchzucker ist (und das zu machen sei, keine OP). Schluck. Mein Gefühl sagt NEIN, NEIN, NEIN. Warum? Keine Ahnung.
Inzwischen ist eine unerwartete Mail eingetroffen: Wir haben von AGG gehört und wollen helfen... Ups, Leute, die A.G. nicht kennen, nix wissen, ihn gar nicht lieben können, wollen helfen, das richtige Zuhause zu finden? Katzennetzwerk? Und das gerade wo die Endlösung über A.G. schwebt. Wenn wildfremde Leute A.G. eine helfende Hand reichen, dann geben wir erst recht nicht auf. Die Röntgenbilder waren nun schon abfotografiert und mailfertig, also weg damit an den besten Chirurgen, der nur leider über das Wochenende seine Emails nicht anschauen kann...

Woche 3: Das Telefon muß wieder herhalten, der Wink mit dem Gartenzaun führt zu gelesenen Emails. Ich werde nicht als Störfaktor behandelt. Die Auskunft ist: ein Richten der Fraktur könnte schon helfen [Garantien brauchen wir nicht, Strohhalme reichen aus :-)], aber es muß dann auch losgehen, denn die Fraktur ist in Heilung, bereits 14d alt und könnte jetzt schon vielleicht nicht mehr zu richten gehen ohne Schäden anzurichten.
Wir haben immer noch Januar, tiefsten Winter, Montag Vormittag, arbeiten selber von früh bis abends, die Mittagspause reicht nicht aus, um die 150km pro Strecke zu schaffen. Hervorragende Voraussetzungen A.G. zu retten. Warten auf den Besitzer geht nicht mehr. Wie bekommt man die Katze schwuppdiwupp zur OP? Die Mittagspause würde zur nächsten Klinik reichen... die operieren dort auch nicht schlecht... aber die eigenen Katzen fahren auch nur zum Besten...
Organisieren ist ein Talent und hat manchmal auch was mit Glück und Einfallsreichtum zu tun. Danke, daß es arbeitslose Leute gibt (Entschuldigung). Wir brauchten gar nicht lange betteln und hatten einen katzenallergischen Fahrer. „Solange es nicht um Leben oder Tod geht und ich nicht mit Blaulicht fahren muss“ war die Antwort. Um Leben oder Tod ging es. Montag Abend war A.G. in der Klinik, Dienstag die OP erledigt. Seinen schönen Schwanz mußte er leider auch hergeben, hat jetzt noch ein Stummelchen. Mit nackigem Katzenpo habe ich ihn Mittwoch Abend nach Hause geholt. Brav wie wir sind und lernfähig gab es ab Donnerstag auch Laktulose.
Über den ersten Kotabsatz haben wir uns gefreut wie die Schneekönige, die OP war ein voller Erfolg. Wir hätten eine Packung Laktulose abzugeben.
Freitag, der Tag neigt sich dem Ende zu, schneit ein junges Mädchen herein. Sie sucht seit 2 Wochen ihren Kater, schwarz-weiß, 9Monate alt, nicht kastriert. Sie will auch gerade Aushänge machen, hat schon im Tierheim nachgefragt... Wohn- und Fundort passen, sie bekommt A.G. also gezeigt. Wir erfahren, daß A.G. Karlos heißt. Die Schwester wird herbeigerufen, beide werden informiert, daß Karlos wahrscheinlich ein Po-Rutscher bleiben wird und die Blase auf Handbetrieb umgestellt ist. Sie finden das nicht schlimm, wollen lernen, wie man Blasen leert, versprechen, am nächsten Tag zu kommen, zu üben, Fragen loszuwerden, dafür kramen wir die Röntgenbilder bis dahin raus. A.G. verläßt uns, wir haben ein weinendes und ein lachendes Auge und ein mulmiges Gefühl.
Samstag kommen alle drei wieder. Karlos hält brav still, aber beiden gelingt es noch nicht, auch nur einen Tropfen aus der Blase zu bekommen. Trotzdem lehnt die Besitzerin einen Katheter für das Wochenende ab. Na gut, erst mal leer machen war für uns kein Problem. Für Sonntag gäbe es ja die bekannte Erfindung des Funktelefons. Selbiges wurde auch benutzt, wie wir später erfuhren. Im Tierheim sagen wir Bescheid, daß zu unserer Fundkatze der Besitzer gefunden wurde. Man nimmt das höflich zur Kenntnis, aber auch den Anruf hätten wir uns sparen können. Ich habe nicht übel Lust ein paar mehr Worte zu verlieren, denn A.G. hätte viel früher nach Hause finden können, aber ich schlucke meinen Unmut herunter, ändert sich eh nix dort.

Woche 4: Erwartungsgemäß beehren uns Karlos und Frauchen am Montag, aber sie guckt schon so komisch. Das Gespräch ist mir nicht wortwörtlich im Gedächtnis, aber sie meint, Karlos nützt ihr so nichts, und sie kann das nicht, und sie will doch nur das Beste für den Kater. Sonntag war sie beim Bereitschaftstierarzt, der hätte auch nur die Blase leer gemacht, und eigentlich sagt der... Und Karlos hätte gebrochen und würde nichts fressen...
Also hatten wir A.G. wieder, fragten uns, was eine Katze nützen muss, was sie nicht kann und waren einfach nur froh, daß er lebte und wieder bei uns gelandet war.
Unser Essen war lecker.

Ex-Frauchen hat versprochen, die Kosten abzuzahlen (und machte dabei den Eindruck, dafür gelobt werden zu wollen). Jeden Handgriff hat schon niemand aufgeschrieben, bei der Zusammenstellung auf die Schnelle waren die Löcher im Sieb des Gedächtnisses groß. Trotzdem begleitete der Vater die Tochter beim zweite Rate bringen, deren Höhe sie selber festgelegt hatte, und meinte uns beschimpfen zu müssen. Seine Tochter hätte nur noch 100Euro im Monat zum Leben, wir müßten schon noch was nachlassen und außerdem hätte der Kater eingeschläfert werden müssen (soll auch ein Tierarzt sagen). Da seine Schimpftirade ins Leere ging, erfolgte noch mal später ein Anruf, um noch eins draufzusetzen. Die Forderung war jetzt, maximal noch mit der Hälfte der fixierten Kosten zufrieden zu sein. Beim dritte Rate bringen haben wir über die Rechnung und Raten noch mal gesprochen und die Zahlen „korrigiert“ (was solls, wenigstens was zurück ist besser als gar nix), mit der 4. Rate kam auch der Impfpaß. Darin steht: Lola, weiblich, 5. März 2011 geboren. Was für eine Namenswandlung... Rate 5 wird Mitte Mai erwartet...


A.G. hat immer noch einen fast nackigen Po. Die Haare mögen nicht wachsen. Blase leeren funzt, nur wenn A.G. gerade was anderes machen möchte, dann zeigt er auch mal Zähne, manchmal ist es nur zwacken, manchmal auch mehr, Blut fließt keins, weil er dann auch nicht stillsitzen mag und wegbeamt. Der Kotabsatz flutscht :-). In der Regel liegt es im Enddarm und kann mühelos rausgedrückt werden. Man schnappt sich also die Katze im rechten Moment, ignoriert das Katzenklo, steuert dafür auf das komfortable zu, macht alles leer, was geht, spült und läßt den felligen Zweibeiner weiter Unsinn anstellen. Wer genau hinsieht, sieht auch, wann das große Geschäft drückt. A.G. (und auch meine Emma [Brustwirbelsäule gebrochen]) schlägt dann mit den Hinterbeinen (Emma auch mit dem Schwanz). Aber meist klappen großes und kleines Geschäft miteinander. Beide Katzen sind nicht unsauber, brauchen keine Windeln. Die Blase würde „überlaufen“, wenn sie nicht geleert wird, aber beide Katzen halten lange dicht (Schmerzgrenze nicht ausgereizt, aber schon über Nacht sind es auch mal 12h). Damit sind beide Katzen nicht pflegeaufwändig oder teuer. Dumm ist natürlich Durchfall...
Wer eine Katze mit Schwanzabriß oder Querschnittslähmung aufnimmt, sollte bedenken, daß für den Urlaubs- oder E-Fall jemand da sein sollte, der mit Blase ausdrücken klar kommt und das übernehmen kann. Sonst wird es die Überlaufgeschichte, aber es gibt einen Rückstau und die Nieren werden leiden. Bisher hatte ich nur die Emma, die ist dann mitgefahren. Hotels und Verwandte haben uns bisher ohne Probleme beherbergt.

A.G. ist eine typische junge Katze mit allen möglichen Flausen im Kopf. Er hat seine kritischen 5min (eher15), dann sollte man besser nicht im Weg stehen, jagt alles mögliche und unmögliche, rennt nicht mehr, kommt dafür im Tiefflug, was ihm den Namen Schwarzer Blitz eingebracht hat, hat seine eigenen Vorstellungen der Gestaltung seines Umfeldes und hat uns ganz im Griff, um seinen Willen zu bekommen. Mehr auch im Forum (leider nicht mehr, wurde abgeschaltet) unter Vorstellungen, Hallo an alle Samtpfoten und ihr Personal, wo die Bitte entstand, seine Geschichte aufzuschreiben.

Hummel und Ronda